"Rattatatam, mein Herz"
Franziska Seyboldt hat eine Angststörung. Darf man das schreiben? Ja, man muss sogar. Denn Franziska Seyboldt will, dass wir über psychische Erkrankungen sprechen. Nicht abstrakt, nicht über psychische Erkrankungen "als solche", sondern über die konkreten: Über deine und meine.
Das hat immense Vorteile - nicht nur für die Gesellschaft, die dadurch kenntnisreicher und hoffentlich auch ein Stück empathischer wird. Das hat auch Vorteile für die Betroffenen. Der Wichtigste ist, so schreibt Frau Seyboldt: " Vor allem eine Sache hat sich geändert, seit ich meine Angststörung öffentlich gemacht habe. Ich verschwende meine Energie nicht mehr damit, die Angst zu verstecken."
Ihrem "Outing" in der ihrer Kolumne "Psycho" in der taz folgte nun "Rattatatam, mein Herz". 251 Seiten über das Leben mit einer Angststörung, erschienen im Januar 2018 bei Kiepenheuer&Witsch. Eines der schönsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Schön im Sinne von wahr und gut - und schön im Sinne von schön.
Es ist wahr und gut, weil Sie beim Lesen mehr über Angststörungen, andere psychische Erkrankungen und über verschiedene Therapien mehr erfahren als in vielen Sachbüchern. Kein Lehrbuch für Therapeut*innen, aber fundierte Information für Betroffene und andere interessierte Mitmenschen. Und es ist schön. Traurig manchmal, ohne jeden unbegründeten Kitsch-Optimismus - und trotzdem humorvoll. Voller lebendiger, anschaulicher Bilder - und weitestgehend frei von Fachchinesisch. Und spannend aufgebaut - ich will nicht zu viel verraten, aber es erwartet Sie mehr als:
1.) Wie es mir immer schlechter ging, bis ich
2.) endlich verstand, was wirklich mit mir los ist, und
3.) seitdem geht es mir wirklich gut.
Ganz im Gegenteil. Dieses Buch hat nicht nur einen catchigen Einstieg, ein fantastisches drittes Kapitel, sondern auch einen sehr guten Schluss (was selten ist - und ein herausragendes Dazwischen.
Also: Unbedingt lesen. Auch wenn Sie sich sonst nicht so für Psychokram interessieren. Sie erfahren nebenbei auch Wissenswertes und Lustiges über Busfahren in Lanzarote, Briefe von der Bank, Zelten in Südfrankreich, Dirty Martinis, Tage im Kloster und Hochsensibilität… Okay, das ist jetzt wieder Psychokram. Egal. Trotzdem lesen.
Ulrich Beer-Bercher