Das Gepardenkostüm
Clker-Free-Vector_Image_29583_pixabay
Selbstgemacht sollte es sein, ein Gepardenkostüm…
Dass meine Erwartungen so hoch waren, konnte ich (noch) nicht sehen.
Ich hatte alles sorgfältig geplant und mehrere Tage an dem Kostüm genäht. Dabei hatte ich es schon vor Augen: Er würde das Kostüm sehen, sich sehr freuen und mir sagen, wie toll er es finden würde; mich umarmen und sofort das Kostüm anziehen.
Am Tag des Faschingsumzugs war es so weit. Er sah das flauschige Kostüm, fand es toll, wollte es aber nicht anziehen! Ich war entsetzt. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben und er wollte es nicht … Lieber wollte er seine Piratenaugenklappe und seinen Plastikschwert dabei haben. Er und seine Freunde wollten alle Piraten spielen.
Da saß ich nun und fragte mich: Was soll ich machen? Soll ich ihn zwingen, das blöde Ding anzuziehen und hoffen, dass er den ganzen Umzug über in der Kita nicht weint? Oder soll ich loslassen? Ich kann letztendlich einen Vierjährigen nicht zwingen ein "Spaß-Kostüm" anzuziehen, wenn es ihm keinen Spaß macht, oder?
Zuerst habe ich versucht, ihn zu überzeugen: Wie gut und bequem das Kostüm wäre, wie gut und cool er damit aussehen wird. Nach ein paar Minuten musste ich mich geschlagen geben: Die Piraten hatten gewonnen und der Gepard ist zuhause geblieben. Ich war enttäuscht und frustriert.
Später habe ich über die Situation nachgedacht. Woher kam es, dass es für mich im Kampf um das Kostüm fast um Leben und Tod ging? Welche Glaubenssätze haben mich geleitet?
Die Antwort, oder vielmehr die Antworten sind mir nach und nach bewusst geworden:
- Ich will ihm eine gute Mutter sein. (Deswegen nähe ich das Kostüm selbst).
- Ich weiß im Vorfeld, was er braucht. Ich weiß besser als er, was es gut für ihn ist
(Ich wähle das Motiv für das Kostüm). - Seine Vorlieben und Motivationen bleiben unverändert.
(Ich kann mich auf das verlassen, was er vor drei Wochen schön fand).
Meine (unbewusste) Schlussfolgerung war gewesen: Wenn ich mich bemühe und er sieht, wie gut es ist, was ich ihm anbiete, dann wird er es schätzen und so handeln, wie ich es erwarte. So wird alles gut sein und ich behalte die Entscheidungsmacht, die Kontrolle. Das macht mich sicher.
Doch dank dem Gepardenkostüm wurde mir klar: Meine Erwartungen für mein Kind und meine Einschätzungen, was für ihn gut ist, decken sich nicht immer mit dem, was er selbst möchte oder erwartet. Dann hilft Kontrolle nicht weiter.
Diesen Kampf zwischen Selbstbestimmung und Kontrolle habe ich über die Jahre hinweg in unterschiedlichen Varianten erlebt (und mitgemacht). In manchen Situationen habe ich nachgegeben (Gepardenkostüm, keine Champignons, Kampfsport aufgeben etc.). In andere Situationen sind mein Mann und ich standhaft geblieben (Zähne putzen, Schlafenszeit, Wortschatz für Englisch üben etc.)
Unser Kriterium war dabei: Was ist wirklich wichtig? Dabei bleiben wir standhaft und verhandeln höchstens über das wie. In den anderen Fällen überlassen wir dem Kind die Entscheidung, im Vertrauen, dass er die Folgen tragen kann.
Es war nicht immer leicht dies zu unterscheiden. Mittlerweile zeigt sich in unterschiedlichen Lebenslagen - nicht nur bei Faschingsprojekten - dass nicht alles so läuft, wie ich es gerne hätte. Wenn es daneben geht, komme ich teilweise ins Grübeln. Wäre es besser gewesen, die Kontrolle zu behalten, mich durchzusetzen? Ich hatte doch schon im Voraus gesehen, dass das nicht gut ausgeht … Aber viel öfter wird mein Vertrauen belohnt. Anders als ich dachte, kann das, was die anderen wollen auch gut sein, manchmal ist es sogar besser :-)
Damals kam ein kleiner, verschwitzter, glücklicher Pirat nach Hause, der erzählte wie toll es mit den anderen Kindern war. Ich gab das Gepardenkostüm in die Altkleidersammlung und hoffte, dass es seine Bestimmung bei anderen Kindern finden wird.
Valeria Madrid