Verbindung der Herzen - sich öffnen können
Die Emotionsfokussierte Therapie (EFT) ist ein therapeutisches Verfahren, das auf empirischer Forschung im Bereich Bindung und Partnerschaft basiert. Es integriert humanistische, erlebnisorientierte und systemische Therapieansätze, um emotionale Erfahrungen und Interaktionen zu restrukturieren. EFT wurde ursprünglich für Einzelklienten gedacht (erste Arbeitslinie von Leslie Greenberg), aber relativ schnell wurde es für Paare weiterentwickelt (Folgearbeit von Sue Johnson und parallel auch von Greenberg). Die Forschung über die Effektivität von EFT ist vielversprechend. Die Metaanalyse zeigt, dass 70% der Paare am Ende der Therapie symptomfrei sind. (https://psycnet.apa.org)
Was sind Emotionen?
Emotionen sind zentral für den Aufbau des Selbst, sie bilden sich im Spiel zwischen angeborenen neurologischen Programmen und unseren erlernten Antworten. Emotionen informieren uns, wenn Bedürfnisse, Ziele oder Werte auf einem guten Weg der Befriedigung sind oder bedroht werden. (Greenberg 2010)
Bereits im Mutterleib und in den ersten Lebensmonaten entstehen im Gehirn neuronale Vernetzungen, "Empfindungen", die später in wahrnehmbare Emotionen und diese interpretierende Gedanken übersetzt werden. Diese neuronalen Vernetzungen werden im Laufe unseres Lebens und in der Wechselwirkung zu wichtigen Beziehungen (Eltern, Geschwister, Freunde, Liebespartner*innen) erweitert und verändert. Es entstehen Muster und wir tendieren dazu, diese zu wiederholen, um unsere Ziele, Wünsche und Bedürfnisse zu erreichen, zu bestätigen oder um Schmerz (negative Emotionen) zu vermeiden.
Über die Beobachtung der Interaktionen eines Paares sind die jeweiligen Muster auf der Verhaltensebene ablesbar, dadurch werden die darunterliegende Emotionen und dementsprechend die Bedürfnisse der jeweiligen Personen sichtbar. In dem Beratungsprozess fokussieren sich Berater*innen, die mit EFT arbeiten, auf die Schlüssel-Emotionen, die in allen Kulturen vorkommen: Freude, Angst, Ekel, Wut, Trauer. (Forschung von Paul Eckman www.de.m.wikipedia.org/wiki/Grundgefühl oder www.atlasofemotions.org )
Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit anderen Therapieformen
Die meisten Paare kommen in unsere Beratung mit konkreten Problemen, wofür sie Lösungen suchen. "Wir streiten uns ständig… Der Haushalt und eine gerechte Arbeitsteilung laufen nicht... Wir haben keinen Sex mehr…".
Andere therapeutisch Orientierungen suchen nach Lösungen auf der Verhaltensebene: einen Arbeits- und Haushaltsplan erstellen, Uhrzeiten für Gespräche oder Sex etablieren, Regeln entwickeln. Dies kann in manchen Fälle hilfreich und ausreichend sein, um das Paar zu mobilisieren. EFT intensiviert die Ebene der Gefühle. Sie trainiert weniger die Kommunikation, sondern stärkt die (gemeinsam erlebte) Emotionen die Intimität und Bindung innerhalb des Paares. Denn hinter den destruktiven Verhaltensmustern liegen Verletzungen und Unsicherheiten auf der Bindungsebene. Man fühlt sich nicht (mehr) geliebt oder traut sich nicht (mehr) zu lieben.
Was bedeutet sich nicht geliebt zu fühlen?
Wir alle kennen solche Momente in unserem Leben, als ob wir allein auf der Welt wären: unwichtig, ungehört, unsichtbar, verlassen. Wenn die Person, die mir am wichtigsten ist (Mutter oder Vater als kleines Kind, Partner*in als Erwachsene) nicht mehr zu Verfügung steht, dann schaltet unser Gehirn auf Alarm und löst Stress aus. Denn wir wissen von Beginn unseres Lebens, dass wir auf gute, tragende Bindungen angewiesen sind. Wir haben Angst, sind wütend oder traurig. Dies nennt die EFT "Primäre Emotionen".
Auf den Stress antworten wir mit Strategien, die wir gelernt haben und wiederholen. Wir regulieren die Spannungen und Emotionen leider nicht immer konstruktiv oder passend. Oft vermeiden wir den Kontakt zu den primären Emotionen, da wir befürchten "unterzugehen". Stattdessen kappen wir den emotionalen Kanal und wir können nicht mehr deuten, was wir spüren (felt sense). Oder wir übertönen die primären Emotionen durch sekundäre Emotionen, oft Wut oder Trauer, die sich in Angriff, Verteidigung oder Rückzug zeigen.
Parallel generieren wir möglicherweise "Erklärungen” darüber, wieso die Bedürfnisse nach Liebe und Kontakt nicht befriedigt werden (können): "Ich bin nicht liebenswert. / Ich muss mich unterwerfen. / Keine(r) kümmert sich um mich, ich muss alles selbst machen. / Ich brauche niemanden, kann es selbst am besten. / Du bist respektlos. / Du willst mich eh verlassen …"
Vorgehensweise der EFT
Diese Sätze bestimmen unsere Interaktionen in der Paarbeziehung. Für die Berater*in sind sie wie eine Landkarte, um den Weg zu den verborgenen Bedürfnissen und Gefühlen zu finden. Sie/er erlaubt sich, eine emotionale Arbeitsbindung mit den Klient*innen aufzubauen, reduziert bewusst die Distanz und wertschätzt die sekundären Emotionen und Verhalten. Die Klient*innen werden von der Berater*in "an die Hand genommen”. Durch verbale und nonverbale Gesten und Aktionen gestaltet die Berater*in aktiv den Prozess; geleitet von der Absicht, den Ratsuchenden wieder einen Zugang zu ihren primären Bedürfnissen und Gefühlen zu öffnen. Das positive, zugewandte Interesse der Berater*in lässt Vertrauen wachsen und ermutigt zum Hinschauen, was im tieferen Innern geschieht.
In der EFT gibt es also keine Erklärungen darüber, wie Kommunikation funktioniert oder woher das Problem kommt, welche psychischen Zusammenhänge sein könnten. Stattdessen wird ein Bindungsangebot gemacht, das es den Klient*innen ermöglicht negierte oder beschämende Aspekte von sich selbst zu offenbaren - in der Gegenwart des Partners/der Partnerin. Methodisch lotst die Berater*in die Ratsuchenden näher zu ihren Emotionen. Dies geschieht durch das Intensivieren der Gefühle über Metaphern oder Beispiele. Gefühle werden gespiegelt und hervorgehoben, selbst wenn die Klient*innen zunächst keine Worte dafür haben. In jeder möglichen tragbaren Situation werden die Klient*innen eingeladen diese Emotionen zum Ausdruck zu bringen, zu "enacting".
Die Arbeit geht in Richtung Validierung und Akzeptanz der Gefühle und Positionen und gleichzeitiger Suche nach der tieferen Bedeutung der Interaktionen. Worin liegt der subjektive, individuelle Sinn? Es ist ein großer Schritt, die Scham zu überwinden und die eigene Bedürftigkeit einzugestehen.
Ermöglicht wird dies durch das Vertrauen in die Berater*in und der Erfahrung, dass Emotionen okay sind und ausgehalten werden können. Klient*innen spüren, dass sie damit nicht allein sind, sie erkennen, dass Emotionen und damit verbundene Körperreaktionen beeinflussbar sind und diese wieder abklingen. Immer wieder über die eigenen Emotionen zu reden, Worte zu finden ist wichtig. Das Erleben von Empathie und Intimität hilft sie auf der neurovegetativer Ebene zu regulieren. Die Emotionen werden dadurch besser in das Selbst integriert. Durch das Teilen miteinander wird der Schmerz weniger.
Die Berater*in hat eine modelhafte Rolle, durch spüren der Gefühle, ausdrücken, ohne Angst mitfühlen und verstehen. Partner*innen, die zuhören und versuchen auch eine empathische, schützende und begleitende Haltung einzunehmen, erleben, dass sie sowohl ihre eigene Meinung äußern als auch die Meinung des Anderen mitfühlen und verstehen können. Es öffnet einen neuen Zugang, z.B. "Deine ständige Kritik hat nicht das Ziel mich zu vernichten, wie ich es bisher geglaubt hatte, sondern damit hast du deinen eigenen Schmerz, Angst, Leid versteckt." Dadurch wird die Bindung miteinander als sicherer und stabiler erlebt.
Die Arbeit der Berater*in geht also in Richtung Validierung und Akzeptanz der Gefühle und Positionen und gleichzeitig die Suche nach der tieferen Bedeutung, die diese Interaktion haben. So kann es sein, dass die sichtbare, zweite Emotion Ärger ist (Du hast schon wieder den ganzen Abend nur auf das Handy geschaut, Freundinnen besucht, die Küche nicht aufgeräumt, du bist so theatralisch, es geht nur um dich ...). Darunter auf einer tieferen Schicht, die wahrzunehmen schmerzhaft wäre, liegen Wunden, die Bindungsmuster unser Vergangenheit. Es geht nicht darum zu sagen, "Wir alle hatten eine schlechte Kindheit", sondern in jeder Lebensgeschichte gibt eine Prägungen durch die Art, wie die Beziehung zwischen Eltern und Kindern gestaltet wurde. Es gibt Mängel, die wir selbst korrigieren können und andere, die in Beziehungen als Problem sichtbar werden.
Adaptive und maladaptive Lösungen
Man unterscheidet zwischen "maladaptiven Lösungen", beispielsweise Alkoholmissbrauch, Gewalt, verbale und nonverbale Verletzungen und "adaptivem" Umgang. Das könnte sein: mit einem Freund reden, Sport machen, in die Natur gehen, spirituelle Unterstützung suchen …
Maladaptive Lösungen sind daran erkennbar, dass sie "alt" sind. Sie fühlen sich genauso an wie damals, sie ändern nichts am Empfinden, sie wiederholen sich. Es gibt keine reale Veränderung, die Erarbeitung kreativer Lösungen und das persönliche Wachstum sind gehemmt. Weit verbreitet sind "Rückzug" (ich ziehe mich von der Bindung/Beziehung zurück) und "Verfolgung" (ich suche die emotionale Verbindung, der Kontakt auf alle Fälle, auch durch Vorwürfe und Streiten).
Die akzeptierende Haltung der Berater*in ermöglicht es, alte Muster zu verändern. Emotionen sind ok. Sie lösen physische und seelische Reaktionen aus, die ich wahrnehmen und kennenlernen kann. Es gibt Möglichkeiten, sich selbst zu beruhigen und zu steuern. Wenn beide Partner*innen beginnen, eine einfühlsame, schützende und begleitende Haltung einzunehmen, weichen sich Fronten auf, wächst Empathie füreinander und eine neue Intimität wird spürbar.
Gleichwohl dürfen unterschiedliche Meinungen bestehen bleiben. Sie sind nun nicht mehr bedrohlich, da sie nicht sofort zum Streit führen. Stattdessen wächst die Bereitschaft, auf die Bindung zu vertrauen und sich gegenseitig in der Tiefe zuzumuten. Der Schmerz und die Verletzlichkeit bekommen einen Platz in der Beziehung. Momente in der Beratung, bei der beide Partner*innen Empathie, Nähe und Intimität im Gespräch miteinander erleben, gemeinsam weinen oder lachen, sind besondere und geschätzte Momente in der EFT.
Noch nicht genügend erforscht ist die Frage, wie und ob EFT bei polyamoren Beziehungen hilfreich sein kann.
Innerhalb der EFT gibt es zwei wissenschaftliche Strömungen, die Schulen von Leslie Greenberg und Sue Johnson. Ich habe in diesem Rahmen darauf verzichtet, diese Unterschiede herauszuarbeiten. Mein Ziel war es, über das Konzept der EFT einen kleinen Einblick zu geben und ich hoffe darauf, dass sich noch mehr Menschen mit diesem guten Ansatz beschäftigen mögen.
Valeria Madrid
Literaturhinweise:
Marielle Sutter, 2019 Vortrag Emotionsfokussierte Therapie Grundlagen, 3.Welle Kongress PZM. 23.01.2019
Roesler, C; Sanders, R: Die Konzeptualisierung der Paarbeziehung als Bindung in der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT) und die Vorhergsage ihrer Entwicklung anhand des Paarinterviews zur Beziehungsgeschichte. In: Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis, 41. Jg (3), 569-578. 2009
Roesler, C. Paarbeziehung als Bindung und Emotionsfokussierte Paartherapie. Psychotherapeut 1, 2016 61:43-48. Online publiziert 3 Dezember 2015. Springer Verlag Berlin Heidelberg 2015.
Handout Fortbildung EFT für die EFL Freiburg 2011
Johnson, S: Praxis der Emotionsfokusierten Paartherapie.
Englisch:
A comprehensive meta-analysis on the efficacy of emotionally focused couple therapy. Spengler, Paul M. Lee, Nicholas A. Wiebe, Stephanie A. Wittenborn, Andrea K
Leslie Greenberg: Emotional -Focused Therapy: a clinical Synthesis. Focus, Winter 2010, Vol 10. VIII, N 1
Greenberg, L: Emotion-Focused Couples Therapy:Emotion, Love, Power and Forgiveness. Handout Workshop Heidelberg, 2019