Mann ... ist mir langweilig!
Doch wie wir durch die harte Corona-Tour 2020 gelernt haben, sind die möglichen Antworten weniger geworden und so wird es uns immer wieder einfach langweilig ...
Eastwood, Frischen und Fenske (2012) definieren Langeweile als: Negativer Zustand, der entstehe, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht in Anspruch genommen wird; weder von internen Prozessen (wie Nachdenken), noch externen Reizen (was um uns geschieht, Aufgaben in unserer Umgebung). Wir merken einen Mangel und erleben den Zustand als außerhalb unserer Kontrolle. Und das ist es genau, womit wir uns seit über einem Jahr herumschlagen: wenig soziale Begegnungen, alles wiederholt sich, kaum Überraschungen.
Langeweile signalisiert: es passiert im Moment nicht Neues und das ist für unser Gehirn an erster Stelle ungewohnt. Wir kennen uns viel mehr aus mit Reizen und sogar mit Überforderung. Die absolute Ruhe oder nichts machen ist für viele Menschen ein beunruhigender oder mindestens ein unbekannter Zustand.
Langeweile ist ok.
Langeweile gehört zum Leben, genauso wie Aufregung. Der Kontrast macht es möglich den Unterschied zu erkennen und wir brauchen es, um unserem Gehirn eine Pause zu gönnen. Die Forschung sagt nach Langeweile/reizlosen Phasen können sich Menschen besser auf Aufgaben fokussieren. Die Wiederholung, die zu Langeweile führen kann, bringt uns Sicherheit und schafft Struktur (der oft gegangene Weg, die Möbel an derselben Stelle, das Aufstehen zur gleichen Zeit …) So kann unser Gehirn "auf Sparflamme schalten" und sich erholen.
Doch - wenn ich zählen würde, wie oft ich, oder wir dieses Jahr spazieren gewesen sind, es wäre mehr als 10 und weniger als 260 Mal und die Frage ist da: Wie häufig kann man denselben Weg gehen, ohne sich zu langweilen?
Aber interessanterweise können in der Langeweile auch neue Verknüpfungen in unserem Geist entstehen, die Kreativität wird angeregt. Denn das Gehirn kann in eine Art "Trance oder Autopilot" fallen, wie wir es aus der Meditation kennen. Zum Beispiel sehe ich zum x-ten Mal die Steine in der Günther-Klotz-Anlage, es ist langweilig doch dann flanieren meine Gedanken zu anderen Steinen, die ich im Urlaub sah. Das führt zu der Erinnerung an leckere Pflaumen, die schön aussahen und plötzlich ist da der Impuls Farben einzufangen, zu malen … und die Langeweile weicht einer neuen Idee.
Langeweile in Partnerschaft ist blöd.
Langeweile kann sich auch in unsere Paarbeziehungen einschleichen. Mit Homeoffice sind wir viel mehr zusammen, erleben weniger und über was sollen wir abends reden?
Für manche Paare ist diese Zeit die Rettung, die Oase in der Wüste, weil sie bisher zeitlich und durch die alltäglichen Aufgaben und Termine hoch angespannt waren und oft im Konflikt. "Wir haben keine Zeit als Paar". Jetzt haben diese Paare wirklich Zeit füreinander, ohne ein schlechtes Gewissen, etwas zu vernachlässigen oder viel Energie aufwenden zu müssen.
Für andere Paare hat diese Zeit einen großen Nachteil, ein Minus. Was sie bisher verbunden hat, z.B. der gemeinsame Sport im Verein, das Singen im selben Chor, mit Freunden ausgehen etc. ist minimal geworden. Das kulturelle Leben ist mau, die Lebendigkeit fehlt. Wir langweilen uns, weil die gegenseitige Bereicherung in der Partnerschaft, die durch den Austausch von Erlebtem gute Spannung und den Reiz des Unterschieds brachte, fehlt. Zwischen Badezimmer, Küche und Homeoffice passiert nicht viel.
Sich trennen, um sich zu finden
Der Impuls in der Paar-Langeweile geht vielleicht Richtung Rückzug. Dürfen wir das? Ich Zeit für mich und Du für Dich allein haben? Ist das nicht ein Zeichen von abnehmender Liebe, wenn wir die freie Zeit nicht zusammen verbringen wollen? Haben wir uns nichts mehr zu sagen?
Das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Abwechselung, Stabilität und Veränderung ist im Fluss. Es variiert von Partnerschaft zu Partnerschaft, von Mensch zu Mensch, von Lebensetappe zu Lebensetappe. In der Krise muss sich das Gleichgewicht wieder neu finden. Wir erhöhen die Spannung, indem wir Unterschiedliches erleben und uns potenziell gegenseitig bereichern. So gesehen, können wir manchmal nur getrennt die gemeinsame Langeweile minimieren. Das bedeutet nicht "jeder Mann für sich" und das Ende der Gemeinsamkeit. Im Gegenteil. Autonome Momente von jedem Einzelnen lassen Neues in die Partnerschaft einfließen: eine frische Haltung, ein neuer Gedanke, ein inspirierendes Bild, die Freude an einer kleinen Begegnung, die Momente in der Natur, die Befriedigung die wir im Sport finden, die Spannung des neues Buches, die kleine Knospen im Garten ... das alles kann allein erlebt werden, erfrischt uns und die Beziehung - mit oder ohne Worte.
Valeria Madrid
PS: Es war nicht langweilig über Langeweile zu schreiben, danke dafür :-)
Literatur:
The Unengaged Mind: Defining Boredom in Terms of Attention. John D. Eastwood1, Alexandra Frischen1,2,3, Mark J. Fenske2, and Daniel Smilek3)in "perspectives of psychological Sciences" 2012.
Wenn Langeweile krank macht (Zeitschrift Das Gehirn 04/2020). Schweizerische Hirnliga. 2021
"Ganz schön langweilig" in https://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/Psychologie-Langeweile-Ablenkung