Vielfalt sehen, akzeptieren und begleiten
LSBTIQ* - haben Sie diese Begriffe schon mal gehört und wissen Sie, was sich dahinter verbirgt? Auch wir in der Ehe-, Familien- und Partnerschaftsberatung Karlsruhe haben in den letzten Jahren eine Entwicklung durchlaufen, die uns diese Begriffe nähergebracht hat.
LSBTIQ* steht für: Lesbisch, Schwul, Bi-, Trans- und Intersexuell sowie Queer* - Ausdrucksformen von Lebens- und Beziehungsstilen und deren Formen gelebter Identität und Sexualität.
Wie kam das Thema LSBTIQ* zu uns in die Beratungsstelle
Auslöser für unsere verstärkte Beschäftigung mit LSBTIQ* war, dass wir Veränderungen in der Gesellschaft und bei den Beratungsanliegen unserer Klient*innen festgestellt haben. Sowohl im Einzel- als auch im Paar-Setting kamen Menschen, für die gleichgeschlechtliche Liebe ein zentrales Thema war.
Für uns stellte sich damit die Frage: Tauschen wir einfach nur das Begriffspaar "Mann-Frau" durch die Begriffspaare "Mann-Mann" und "Frau-Frau" und ansonsten ist alles gleich? Oder ist das ein ganz neues Feld der Beratung mit eigenen Bedürfnissen, Dynamiken, Chancen und Herausforderungen?
Ein weiteres Thema sind Menschen mit einer transsexuellen Identität, die zu uns kommen. Das Thema Transsexualität findet auch in der öffentlichen Diskussion zunehmend Beachtung. In der fachlichen Einschätzung wird mit dem neuen ICD-11 eine andere Einordnung der Transsexualität vorgenommen - weg von einem Pathologiemodell, hin zu einer Beschreibung von Vielfalt.
LSBTIQ* taucht bei uns in unterschiedlichen Settings auf. Zum einen in der Einzelberatung, wenn es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und (Geschlechts-) Identität geht. Zum anderen als Teil von Paar- und Beziehungsdynamiken und schließlich als Thema in der Eltern- und Angehörigenberatung.
Die Beschäftigung mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Einstellungen zeigt, dass es nicht nur in LSBTIQ*-Beziehungen eine große Vielfalt gibt. Auch heterosexuelle Beziehungen sind bei genauerer Wahrnehmung unterschiedlich. Das Konzept der Polyamorie ist in diesem Zusammenhang zu nennen, kann hier aber nicht ausführlich behandelt werden.
Wie haben wir als Berater*innen auf LSBTIQ* reagiert?
Zunächst hat sich jede*r Berater*in selbst auf den Weg gemacht, um mehr über dieses Thema zu erfahren. Zum einen durch persönliche Kontakte zu Menschen mit ähnlicher oder gleicher Thematik im privaten und beruflichen Umfeld, zum anderen durch Literaturstudium in Fachzeitschriften und Büchern. In diesem Zuge ist auch unsere hauseigene Bibliothek zu diesem Themenbereich erweitert worden.
Das Thema fand auch Einzug in interne Fallbesprechungen und Supervisionen. Wir begannen uns als Team mit dem Thema LSBTIQ* zu beschäftigen. Der nächste Schritt war ein interner Fortbildungstag. Zusammen mit den Kooperationspartner*innen Dr. Jochen Kramer, Stuttgart und Andrea Lange, Mannheim konnten wir vertiefte Einblicke in das Thema gewinnen. Die Resonanz war so positiv, dass sich zwei Teammitglieder entschieden, ein neu aufgelegtes, zweisemestriges Weiterbildungsstudium an der PH-Karlsruhe zum Thema LSBTIQ* zu absolvieren. Die Inhalte wurden danach verdichtet in einer Kurzweiterbildung an das Team weitergegeben und sind Grundlage dieses Artikels.
Wir als Beratungsstelle haben es uns zum Ziel gesetzt, LSBTIQ* Beratung zu einem festen Bestandteil unseres Beratungsangebots zu machen und diesbezüglich auch sichtbar an die Öffentlichkeit zu treten. Ziel ist es, die Webseite entsprechend zu ergänzen, Flyer auszuarbeiten und Veranstaltungen mit Netzwerkpartner*innen zum Thema zu organisieren.
Grundhaltungen als Berater*in
Als Berater*innen fühlen wir uns einer bejahenden und empathischen Beratungshaltung verpflichtet, die die Identität und Sexualität der Klient*innen stärkt. Die Beratung ist idealerweise gekennzeichnet durch Akzeptanz gegenüber den individuellen Ausdrucksformen von Liebe, Sexualität und Identitäten jedes Menschen in allen ihren Formen, solange diese die Individualität und Grenzen des Gegenübers achten.
Gleichzeitig ist jede*r Berater*in ein Kind seiner/ihrer Zeit, Erziehung und kultureller Prägung, die sich nicht so einfach durch kognitives Wissen überformen lässt. Klassische Sätze, die sich eingeprägt haben, können sein: "Nur heterosexuelle Beziehungen sind normal" "Mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben geht nicht" usw.
Selbstreflexion, sowie der bewusste Umgang mit den eigenen Grundüberzeugungen und der eigenen Sozialisation in einer überwiegend heterosexuellen und mononormativen Gesellschaft sind notwendig. Beziehungsformen, die uns nicht vertraut sind, können wir im Gespräch mit den Klient*innen besser verstehen und "in unser Weltbild einbauen".
Diskriminierung durch Minderheits-Stress
Wenn man die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe annehmen kann, wird deutlich, wie belastend die vorherrschende Diskriminierung ist und wie tief sie in unserer Erziehung verankert ist. Menschen aus der LSBTIQ* Community haben statistisch gesehen häufiger psychosomatische Erkrankungen und berichten öfter von einem niedrigen Selbstwertgefühl.
Bisher wurde diese Symptomatik als "Folge" des "Andersseins" verstanden. Jetzt wissen wir, sie steht in einem Zusammenhang mit dem erlebten psychischen Druck nicht akzeptiert zu sein, sich nicht zugehörig zu fühlen und diskriminiert zu werden - dem Minderheits-Stress. Über die Zeit werden die negativen Botschaften von außen verinnerlicht und es kommt zur Ablehnung des eigenen Selbst (oder Teilen davon) .
Die APA (American Psychological Association) hat vor ein paar Jahren Empfehlungen für die therapeutische bzw. beraterische Arbeit mit LSBTIQ* Klient*innen festgelegt. Diesem Vorbild sind in Deutschland (und auch speziell in Baden-Württemberg) verschiedene Organisationen, unter anderem der LSDV (Lesben- und Schwulen-Verband in Deutschland) gefolgt und haben eigene Standards formuliert.
Wenn wir die wichtigen Aspekte diese Empfehlungen zusammenfassen, ergeben sich mehrere Bereiche, die in der Beratung von LSBTIQ* Menschen Berücksichtigung finden sollten, um die Qualität der Arbeit zu gewährleisten:
Einer dieser Punkte ist die Kooperation mit anderen Institutionen, sowie der Kontakt und eine bessere Vernetzung mit der LSBTIQ* Szene. Dank der Weiterbildung haben wir einen besseren Überblick über die regionalen und überregionalen Angebote für LSBTIQ*-Klient*innen bekommen. Es entstanden Kontakte zu Kolleg*innen in anderen Organisationen und Einrichtungen in Karlsruhe, mit denen der regelmäßige fachliche Austausch organisiert werden konnte. Gemeinsam wollen wir uns in Karlsruhe für eine breitere Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich engagieren.
Alle Klient*innen der Beratungsstelle sind gleichzeitig eine Bereicherung und eine Herausforderung für die Berater*innen. Für das erste sind wir dankbar, für das zweite sagen wir: Wir sind bereit!
Valeria Madrid, Thomas Rüttgers