Paare beim Übergang zur Elternschaft begleiten
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Unsere Kollegin Magdalena Hochweis-Müller beschäftigte sich in ihrer Masterthesis mit der Bindungsarbeit mit schwangeren Müttern und Vätern. Sie untersuchte die Auswirkung der Bindungsanalyse nach Jenö Raffai und György Hidas auf die Paarbeziehung. Frau Hochweis-Müller ist Ehe-, Familien- und Lebensberaterin und Hebamme.
Dass die Familiengründung als eine normative Krise zu den herausfordernden Themen in Therapie und Beratung gehört, zeigt die große Anzahl der wissenschaftlichen Untersuchungen und Veröffentlichungen dazu. Der Psychoanalytiker und Familientherapeut Manfred Cierpka und seine Kollegen nähern sich diesem Thema in ihrem Handbuch der Familiendiagnostik entwicklungsorientiert. Ihre Aufmerksamkeit liegt unter anderem auf der besonderen Rolle von Schwangerschaft und Geburt, die ein wesentliches Fundament für eine stabile Partnerschaft und einen guten Familienstart bilden.
"Denn eine Schwangerschaft ist nicht nur eine Sache der Vorsorgeuntersuchungen, sondern das damit verbundene Elternwerden ist ein tiefgreifender Individuationsprozess für die werdende Mutter und den werdenden Vater".
Dieser Reifungsprozess beider Partner*innen im Übergang vom Paar zur Familie birgt häufig Konfliktpotential. Als Ursache hierfür sind neben Stress auch bevorstehende Rollenveränderungen und die damit einhergehenden individuellen und kollektiven Erwartungen zu nennen. Eine Begleitung bereits in der Zeit der Schwangerschaft erscheint sinnvoll, da bei der Schwangeren, sowohl durch ihre hormonelle Situation als auch durch die existentielle Herausforderung Mutter zu werden, eine große Offenheit für Veränderungen entsteht, durch die ihr oft große Entwicklungssprünge möglich sind. Deshalb sind Entwicklungen möglich, "die im ’normalen‘ Leben nicht so schnell und so leicht vollzogen werden können."
Auch das Vaterwerden stellt eine existentielle Herausforderung für den Mann dar und ist ebenso mit hormonellen Veränderungen verbunden. Daher kann bei werdenden Vätern eine ähnliche Offenheit und Bereitschaft für Wandlung vermutet werden, die zudem mit einer größeren Feinfühligkeit und Bindungsbereitschaft einhergehen. Die Schwangerschaft als besondere Zeit des Paares ermöglicht diesem, sich der anstehenden Entwicklungsthemen nicht nur im Hinblick auf das erwartete Kind, sondern auch im Hinblick auf die gemeinsame Paarbeziehung bewusst zu werden.
Zitate aus Expertinnen-Interviews
der unveröffentlichten Masterarbeit der Autorin über die Auswirkungen der pränatalen Bindungsarbeit nach Jenö Raffai und György Hidas ("Bindungsanalyse") auf die Paarbeziehung der werdenden und jungen Eltern sollen die Effekte einer präventiven Begleitung des Paares in der Schwangerschaft aufzeigen. Die untersuchte Methode, die psychodynamischen Ursprungs ist, stellt eine präventive Form der Begleitung dar und steht allen werdenden Müttern offen. In der Regel startet die Begleitung ab der 20. Schwangerschaftswoche und findet einmal wöchentlich bis zum Ende der Schwangerschaft statt. Die Stärkung der Mutter-Kind-Bindung durch die Bindungsanalyse ist wissenschaftlich bereits gut belegt (vgl. Görtz-Schroth et al. 2022:9ff).
Um die Auswirkungen dieser Methode auf die Paarbeziehung der Schwangeren zu erforschen, wurden Expertinnen ausgewählt, die sowohl als Hebammen als auch als Bindungsbegleiterinnen in unterschiedlichen Familien tätig sind. Dadurch war den Expertinnen ein Vergleich zwischen den mit Bindungsanalyse begleiteten und nicht mit Bindungsanalyse begleiteten Familien möglich.
Beispielhaft soll dabei auf zwei Aspekte fokussiert werden.
Aspekt 1
Einfluss auf die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Austausches des Paares
C. "Also was, was wirklich viel ausmacht, ist, dass die Paare, wenn die Frauen zur Bindungsanalyse kommen und dann tatsächlich das zu Hause auf Interesse stößt, also wenn die Partner daran interessiert sind, wenn sie darüber ins Gespräch kommen und das Baby so mit einbeziehen, dann ist das auch was, was beide sehr miteinander verbindet".
B: "Also ich meine erst mal, was ich auf jeden Fall feststelle, das ist der Unterschied bei den Frauen. Ja, also für mich in der Arbeit im Wochenbett, das ist ungleich anders als jetzt mit Frauen, die keine Bindungsanalyse gemacht haben und das, also das wirkt sich schon auch ein Stück weit natürlich auf die Beziehung aus, weil, wenn die Frauen eine Bindungsanalyse machen, dann erzählen die ja in der Regel den Männern davon und erzählen über ihre Themen und - also ihre ureigenen Themen - , sind dann auch da im Vorfeld schon, haben dann mehr Raum und also zugewandter vielleicht würde ich da sagen".
Kommentar:
Die regelmäßigen begleiteten Termine schaffen Gesprächsanlässe und Themen für das Paar. Beide Partner*innen bleiben so in Kontakt und ihre Beziehung wird durch diese ("Zwie") - Gespräche vertieft. Es entsteht ein Raum für wechselseitiges Reden und Zuhören. Dadurch können Ängste besprochen und Vertrauen aufgebaut werden. Das schafft ganz unbewusst eine tiefe Verbindung des Paares und beugt Konflikten vor.
Aspekt 2
Stressbelastung der werdenden Mutter
C: "Und natürlich dann bei vielen -die die Bindungsanalyse erleben- (Anm. der Autorin) die Stressbelastung in der Schwangerschaft nicht ganz so hoch ist. Ich führe das auf die Babystunden zurück, aber auch auf diesen engmaschigen Kontakt, dass man sich ja Woche für Woche trifft und Ängste natürlich auch besprechen kann und viele Sorgen nehmen kann, so dass für die Mütter erst mal weniger Stressbelastung ist und das Baby dann entspannter ist".
A: "Genau. Ja. Hm, ja, also ich denke schon, dass es also Themen … fällt mir jetzt mal ein - Themen wie Überforderung in der Schwangerschaft, dass sie so müde oder dass sie sich überfordert und gestresst fühlt, was dann ja auch auf die Paarbeziehung wirkt. Das sind so Themen, die mir, … wo ich merkt … es kann in der Schwangerschaft Strategien entwickelt werden oder auch ihr bewusst gemacht werden. Und das wirkt dann sicher auch aufs Wochenbett und auf die Paarbeziehung".
Kommentar:
Die Schwangere ist mit vielen innerpsychischen Prozessen in der Schwangerschaft beschäftigt, wie z.B. der Erweiterung der bestehenden Identität und Rollen. Die werdende Mutter hat dabei viele Ängste und Sorgen, den bevorstehenden Aufgaben nicht gewachsen zu sein und sucht daher nach Unterstützung durch Halt und Geborgenheit gebende Figuren. Indem sich die Beraterin der Schwangeren als eine verlässlich haltende Beziehungsperson zur Verfügung stellt, entsteht für die Schwangere ein sicherer Raum (Safe Container). In diesem kann sie sich mit ihren Sorge und Ängsten zeigen und mit Verletzungen auseinandersetzen und sich dabei sowohl ihres Rollenverständnisses als werdende Mutter als auch eventueller Rollenunsicherheiten bewusst werden. Eine Stressbelastung der werdenden Väter im Hinblick auf die bevorstehenden Rollen und Aufgaben ist ebenso zu vermuten. So beschreibt der Psychoanalytiker und Elterntherapeut Egon Garstick Identitätskrisen von Männern bei der Übernahme einer reifen Vaterschaft und zeigt, dass eine Begleitung irritierter Männer in der Phase des Elternwerdens diesen hilft, besser in ihre Vaterrolle hineinzuwachsen. Eine unterstützende Begleitung beim Übergang zur Elternschaft ermöglicht also beiden Partner*innen sich jeweils selbst und das noch ungeborene Kind zunehmend besser zu verstehen. Das Paar bleibt im gegenseitigen Austausch, wodurch Stress vermindert wird und die notwendigen Entwicklungsschritte leichter bewältigt werden können.
In der Charta der "Rechte des Kindes" vor, während und nach der Geburt wird die Gesellschaft aufgefordert, der künftigen Generation die Möglichkeit zu geben, "ihre eigenen Potentiale als Paar und als Eltern zu entwickeln" und gesellschaftliche Institutionen werden aufgefordert "Eltern bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu unterstützen". Es stellt sich als wünschenswert dar, die psychologischen Erkenntnisse unserer Zeit nicht erst anzuwenden, wenn bereits etwas schiefgegangen ist, sondern als Präventionsangebot vorzuhalten. Die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen wären der richtige Ort dafür.
Literatur:
Aßmann, A.B. (2017b). Bindung mit dem Ungeborenen. Von Herz zu Herz. In: Deutsche Hebammen Zeitschrift, 69/2017, 4, 55-58
Cierpka, M., Frey, B., Scholtes, K., Köhler, H. (2012). Von der Partnerschaft zur Elternschaft. In: Cierpka, M. (HG.) (2012). Frühe Kindheit 0 - 3. 1.Hrsg. Berlin Heidelberg: Springer Verlag, 115-144.
Garstick, E. (2012). Vom Elternwerden zur Elternschaft: Über Identitätskrisen bei Eltern. In: Brisch, K.-H. (HG.) (2012). Bindungen-Paare, Sexualität und Kinder.1. Hrsg. Stuttgart: Klett-Cotta, 158-176.
Görtz-Schroth, A , Schroth, G., Phillips, R. (2022). Fortschritte in Schwangerschaft und Geburt durch die Bindungsanalyse. Eine zweite Begleitstudie. In: Blazy, H. (HG) (2022). Bindung im und Trennung vom ersten Zuhause. Heidelberg: Mattes Verlag, 9-17
Hidas, G., Raffai, J., Vollner, J. (2021). Nabelschnur der Seele. Psychoanalytisch orientierte Förderung der vorgeburtlichen Bindung zwischen Mutter und Baby. 3. Hrsg. Gießen: Psychosozial - Verlag
Hochweis-Müller, M. (2024). Auf den Anfang kommt es an. Auswirkungen der pränatalen Bindungsarbeit nach Raffai und Hidas auf die Paarbeziehung der werdenden und jungen Eltern. Unveröffentlichte Masterthesis.
Hörndler, M., (2014). Bindungsanalyse - Förderung der vorgeburtlichen Mutter-Kind-Beziehung. Zurück zu den Wurzeln menschlichen Lebens mit Blick nach vorne. In: Psychologie in Österreich, 2014, 34 (5), 307-315.
Janus, L. (2024). Wie die Seele entsteht. Unser psychisches Leben vor, während und nach der Geburt. Heidelberg: Mattes Verlag.
Meisenzahl, E., Stegmüller,V. & Gerbig, N. (2021).Psychische Belastungen in Schwangerschaft und Stillzeit. Manual für Gruppen-und Einzelsettings. 1.Hrsg. Stuttgart: Schattauer Verlag.