Sich trennen tut weh - wie lange?
Scheidung nach durchschnittlich 15 Jahren Ehezeit
Etwas mehr als die Hälfte der im Jahr 2022 geschiedenen Ehepaare hatten minderjährige Kinder. Insgesamt waren im Jahr 2022 mehr als 115.800 Minderjährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. 17,7 % aller geschiedenen Paare waren mindestens im 25. Jahr verheiratet. Im Durchschnitt waren die im Jahr 2022 geschiedenen Ehepaare 15 Jahre und einen Monat verheiratet.
Im Jahr 1997, also 25 Jahre zuvor, waren Ehen bereits nach durchschnittlich zwölf Jahren und vier Monaten geschieden worden. Mitverantwortlich hierfür war der vergleichsweise niedrige Anteil geschiedener Langzeitehen: 1997 wurden nur 10,2 % der geschiedenen Paare im Jahr ihrer Silberhochzeit oder danach geschieden.
Trauer nach Scheidung
Seit einiger Zeit ist die anhaltende Trauerstörung anerkannt als psychisches Leiden in den internationalen Diagnosekriterien ICD-11: Starke Sehnsucht nach und Beschäftigung mit dem Verstorbenen, oft begleitet von Wut, Schuldgefühlen und Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren; übermäßige Schwierigkeit, sich in soziale und andere Aktivitäten nach dem Trauerfall wieder einzufinden - und zwar ab einem Zeitraum von über sechs Monaten .
Auch wenn es sich bei einer Trennung/Scheidung nicht um einen Todesfall handelt, können die Symptome vergleichbar sein. Es besteht die Gefahr, sich zu verhaken, Weichen falsch zu stellen, nicht zeitgemäß und vollständig genug in die nächste Lebensphase zu starten.
Auf diesem Hintergrund möchten wir als Beraterinnen Menschen in ihrem Prozess des Auseinandergehens und der Neuorientierung gut begleiten.
Am Alten hängenbleiben
Eine nicht gut durchgeführte Trennung kann zu einer Fixierung auf die bereits vergangene Beziehung führen, in der viel Energie zur Aufrechterhaltung einer negativen Bindung gegeben wird (z.B. ständiges Kreisen um das Geschehene, Racheimpulse, Sehnsuchtsgedanken an gute Zeiten). Letztendlich fehlt die Kraft an anderer Stelle, so dass diese an das Alte gebundene Aktivität in ein "verkleinertes Leben" münden kann. Über Jahre kann es dazu kommen, dass ein verzerrtes, wenig hilfreiches inneres Narrativ über das, was geschehen ist dieselben Gefühlszustände zyklisch hochkochen lässt. Klarheit in dem, was wirklich vorgefallen ist, sowie Vertrauen in die eigene Fähigkeit ähnliches Beziehungsgeschehen zukünftig zu unter-binden, kann darin selten gefunden werden.
Auf dem Weg in das neue Leben
Es ist wirklich ein großer Kraftakt, nicht in die Falle zu tappen, die Trennung als Bestätigung dafür zu nehmen, dass all die negativen Überzeugungen, mit denen wir vielleicht selbst seit Jahren hadern, durch die Trennung gerade von dem Menschen bestätigt wurden, der uns besser kennt als irgendjemand sonst.
Die Sehnsucht, durch die Krise zu reifen und sich entwickeln zu können, kann in dieser Situation neue Kraft geben. Mit (neuem) Vertrauen und Neugierde vielleicht zu dem Mensch zu werden, der man sein könnte und eigentlich immer schon mal sein wollte (sobald das fiese Zwischenstadium der akuten und nichtbewältigten Trennung vorbei sein wird).
Sich lieben zu lernen - trotz und sogar wegen der Erschütterung, der Enttäuschung, der heftigen, kränkenden und beschämenden Verletzung des Selbstwertgefühls durch die Trennung, sich neue Fertigkeiten und Haltungen aneignen. Nicht mehr auf persönliche Stärke verzichten ist gute Saat für morgen und übermorgen.
Mit Begleitung ist es möglich, Mut und Kraft zu finden, sich der jeweiligen Ursprungswunde zu stellen, Eigenscham und heiße Wut auszuhalten und in gute Kräfte verwandeln zu können. Wie in einem Trauerprozess durch die Stadien des Abnabelungs- und Neufindungsprozesses selbst depressives Erleben zu verstehen. Nach den vergangenheitsorientierten Phasen des Nichtwahrhabenwollens, der Wut und des Verhandelns in die Gegenwartsorien-tierung zu wechseln, und in der Akzeptanz der Realität letztendlich Frieden zu finden.
Dazu gehört such selbstreflektierend unter die Oberfläche zu blicken und einen Teil der Verantwortung für das Scheitern der Beziehung zu übernehmen. Wahrnehmen zu können, welche Folgen eigenes Fehlverhalten für die andere Seite hatte, ist eine Selbstermächtigung, welche die Opferrolle wohltuend schrumpfen lässt. Dabei ist Verantwortung nicht dasselbe wie Schuld.
So kann über die Zeit der Begleitung ein umfassenderes, neues Trennungsnarrativ entwickelt werden, das der gemeinsamen Zeit und dem, was gemeinsam erreicht wurde, gerecht wird. Dies macht es leichter im Guten loszulassen (um vielleicht zu merken, dass das Loslassen mancher Illusionen über den/die Partner*in den Verlust entdramatisiert).
Meng Wang und Claudia Hohmeister